Du kannst dir die einzelnen Abschnitte anhören oder selbst lesen, ganz wie du magst.
An diesem Morgen, an einem Tag wie jedem anderen, steht jemand in ihrer Tür, den sie noch nie gesehen hat. Und bevor sie nachdenken, fragen, rufen kann, hört sie: Maria. Gott braucht dich. Du wirst schwanger. Das Kind soll Jesus heißen. Es wird die Welt verändern, und man wird es Sohn Gottes nennen. Sie hört den Wind draußen, die Schritte auf der Straße, alles geht weiter, aber: ihre Zeit steht still. Schwanger hallt es in ihrem Kopf. Wieso schwanger, das geht nicht, das geht doch gar nicht. Wieso ich, will sie einwenden, Sohn Gottes, was heißt das denn, das kann ich nicht. Alles gerät durcheinander, nein, will sie rufen, nein, aber sie tut es nicht, sie sieht das Licht, dieses warme Licht, und auf einmal hat sie keine Angst mehr. Die Kraft deines Gottes wird in dir sein, sagt der andere. Und sie antwortet: Ja. Nichts Anderes. Nur ja. (nach Lukas Kapitel1, 26-38)
Als sie ihm das mit dem Kind erzählt, rennt er raus. Stolpert in der Nacht, nur allein sein, nichts mehr hören, bloß ihr Gesicht nicht mehr sehen. Sein Hals ist zugeschnürt, Maria, seine Maria! Der Boden unter ihm bricht, was wird aus unsere, Leben, alles zerstört, warum nur, warum?? Dass sie schwanger ist, schwanger nicht von ihm, ist schon genug. Aber warum kommt sie mit solch einer Geschichte – Engel – Gottessohn! Weg, nur weh von hier, denkt er, irgendwo neu anfangen, sie nie wiedersehen! Er schiebt seine Gefühle weg. Verbietet sich, an sie zu denken. Spricht mit keinem. Packt seine Sachen. Aber dann kommt dieser Traum. Anders als andere Träume. So klar. So hell. Heftet sich in seinen Kopf, sein Herz. Fürchte dich nicht, hört er, fürchte dich nicht. Im ganzen Körper spürt er ihre Stimme, fürchte dich nicht, bei Maria zu bleiben.
Sie ist deine Frau, ihr Kind kommt von Gott. Er wacht auf, die Worte bleiben. Lange noch hallen sie in ihm nach, zärtlich klingen sie, kraftvoll: Fürchte dich nicht. (nach Matthäus 1,18-25)
Endlich, denkt sie, Bethlehem. Ein Bett, ich will nichts anderes als ein Bett und meine Ruhe. Sie sieht blass aus, die Reise hat sie mitgenommen. Ein Glück, dass alles so gut gegangen ist, fehlt nur noch ein Zimmer. Verstohlen schaut er sie an, wenn nur die Wehen noch nicht beginnen… Die Straßen sind voll. Überall Menschen. Was für ein Wahnsinn, denkt er, ein ganzes Volk rennt durchs Land, nur weil die da oben mehr Steuern wollen! Sie sieht die Falte zwischen seinen Augen, sieht, dass er sich mühsam beherrscht. Verrückt eine Schwangere durch die Weltgeschichte zu jagen, schimpft er, einfach verrückt! Sie ist mit ihren Gedanken woanders, bei dem Kind, es kommt bald. Zimmer belegt, liest er, nein, nichts mehr frei, hören sie, versuchen sie es weiter außerhalb; aber auch dort: Kopfschütteln, gleichgültige Blicke, die Volkszählung, wissen sie, das Wichtigste im Moment. Er spürt die Wut in sich aufsteigen, würde sie am Liebsten alle schütteln, seht ihr denn nicht, möchte er schreien, seht ihr denn nicht, meine Frau bekommt ein Kind! Wo sollen wir bleiben? (nach Lukas 2,1-5)
Die Nacht ist kühl, Tau liegt auf dem Gras, ein geller Streifen hinter den Dächern kündigt die Morgendämmerung an. Die Wände sind roh zusammengezimmert, das Dach ist niedrig. Vorsichtig treten sie näher. Das Kind ich ihrem Arm, so winzig, denkt er, sieht aus wie alle Neugeborenen, der kleine Wurm soll ein König sein? Aber er hat sie gehört, die Stimmen in dieser Nacht, und er war nicht betrunken, sie alle hatten sie gehört, und da war dieser Glanz, nie hatte er etwas so klar verstanden: Fürchtet euch nicht, für euch ist heute der Retter geboren. Nicht, dass er sich von Parolen beeindrucken ließe, aber diese Worte – sein Herz, es wurde warm, und plötzlich musste er denken, wenn es wahr wäre: Ein Retter für uns. Warum hären wir das, wir hier draußen, nicht die Frommen, die wichtigen Leute? Er kann es nicht abtun, will es glauben, will es sehen, und nun steht er da, und ihm fehlen die Worte. Als ob er sie je um einen Gott gekümmert hätte, aber diese hier: nicht reicher als er, nicht mächtiger? Wenn es so wäre, dann würde alles anders (nach Lukas 2,8-21)
Als sie aufbrachen, wusste sie nicht, wie ihr Ziel aussehen würde. Sie wussten nur: Eine solche Sehnsucht hatten sie nie zuvor gespürt. Sie hatten diesen Stern gesehen. Und beschlossen, ihm zu folgen. Verrückt haben viele gesagt. Jetzt sind sie hier, in diesem fremden Land, und nichts ist da, was ihnen vertraut wäre: die Sprache nicht, die Religion nicht, auch die Gerüche und Geräusche nicht. Und dennoch: Dennoch spüren sie, sie werden hier Heimat finden. Erlösung, denken sie, auch wenn sie nicht genau erklären könnten, was sie damit meinen. Als sie nach dem neugeborenen Kind fragen, dem König, will man sie abwimmeln. Seht ihre merkwürdige Kleidung, hört ihren Akzent, mustert das große Fernrohr. Ein König? Draußen vor der Stadt? Unmöglich! Hören sie. Aber sie sehen auch die Verunsicherung in den Augen. Sie lassen die Stadt hinter sich. Halten die Geschenke fest in den Händen, das Wertvollste, das Heiligste, das Liebste, was sie haben. Vertrauen dem Stern, der sie bis hier gebracht hat. Und der sie führen wird. Zu dem unbekannten Gott. (Nach Matthäus 2,1-2)
Susanne Niemeyer, aus: ach! Das kleine Buch vom großen Staunen, 2007, Hamburg, Andere Zeiten e.V., www.anderezeiten.de
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